Überraschungseffekt
Sachverhalt:
Ein Ehemann (Konfliktpartner 1) wohnt seit Jahrzehnten mit seiner Frau in einem bescheidenen Dorf auf dem Land. In der Nachbarschaft kennt man sich, und der KP1 pflegte immer ein gutes Verhältnis zu seinem Nachbarn (Konfliktpartner 2). Seit einiger Zeit jedoch ist das Verhältnis zwischen KP1 und KP2 ungewöhnlich abgekühlt. Grund dafür ist ein Konflikt wegen einer Hecke, die vom Garten des KP2 aus auf das Grundstück des KP1 herüberwächst. Der KP1 befürchtet, dass diese Hecke sein Haus beschädigen könnte. Beim KP2 stößt er mit diesem Thema aber auf taube Ohren. Dieser möchte die Hecke nicht zurückschneiden. Der KP1 weiß sich nicht mehr weiterzuhelfen und fragt eine Telefonmediation an.
KP1: Nachbar KP2: Nachbar mit Hecke
Verlauf der Mediation:
Die Mediatorin startet sofort mit der Kontaktaufnahme zum KP1, kann diesen tzrotz seiner Anfrage aber wiederholt nicht erreichen. Die Tage ziehen ins Land und der KP1 ist nach wie vor nicht ans Telefon zu bekommen. Die Mediatorin lässt aber nicht locker und hat eine Idee: Weil sie sich nur unweit vom Wohnort des KP1 befindet, beschließt sie kurzerhand, einfach mal vorbeizufahren und einen Brief mit einer Rückrufbitte in seinen Briefkasten zu werfen. Am Haus des KP1 angekommen, findet die Mediatorin diesen tatsächlich persönlich vor. Nach einer kurzen Vorstellung zeigt ihr der KP1 gleich die Situation im Garten. Auch der Nachbar (KP2) kommt in der Zwischenzeit nach Hause und stößt zu KP1 und Mediatorin hinzu. Die Mediatorin geht behutsam mit der für KP1 und KP2 überraschenden Situation einer spontanen Präsenzmediation um, und bietet an, ihre Arbeit wie ursprünglich vereinbart, per Telefon fortzuführen. Beide Konfliktparteien sind aber froh, dass sie persönlich erschienen ist, und wollen die Angelegenheit gleich vor Ort klären. So findet tatsächlich ein Präsenztermin statt, zu dem auch noch die Frau des KP1 dazukommt.
Im gemeinsamen Gespräch am Zaun berichten die Nachbarn von einem Konflikt, der weiter zurückreicht und tiefer geht als der Streit um die Hecke. Dabei zeigt sich, worin der Grund für die unterkühlte Beziehung der Nachbarn liegt: Nachdem die Frau des KP2 gestorben war, unterstützten der KP1 und seine Frau den KP2 in allerlei Angelegenheiten: Sie halfen ihm bei der Gartenarbeit und erledigten kleinere häusliche Tätigkeiten für ihn. Der KP2 begann jedoch damit, der Frau des KP1 Avancen zu machen. Dies führte zu einer unangenehmen Stimmung und naturgemäß zu dicker Luft zwischen den Nachbarn. Die Beziehung kühlte ab und die Hecke trat als Konfliktpunkt auf die Bühne.
Durch das Zaungespräch hört der KP2 zum ersten Mal, welch unangenehme Auswirkungen sein Verhalten auf den KP1 und seine Frau hatte. Dabei sieht er ein, dass er mit seinen Avancen etwas zu weit gegangen war.
Ergebnis/Lösung:
Die Einsicht des KP2 löst den Knoten zwischen den Konfliktparteien. Die Hecke, um die es anfangs ging, tritt als Streitpunkt wieder in den Hintergrund; für den KP1 stellt die Hecke nun kein Problem mehr da, der KP2 schneidet diese dennoch zurück. Die Nachbarn beschließen außerdem, sich auf der freundschaftlichen Ebene wieder langsam anzunähern.
Kommentar:
Das spontane Erscheinen der Mediatorin am Konfliktort erzeugte einen Überraschungseffekt, der die Nachbarn dazu animierte, den Konflikt an Ort und Stelle gemeinsam anzupacken. In Bezug auf den dahinterliegenden Konflikt war das persönliche Gespräch zwischen den Konfliktparteien ein Schlüsselelement. Die Aufarbeitung des tatsächlichen Konflikts, der hinter der Hecke liegt, führte dazu, dass die beiden Parteien eine einvernehmliche und nachhaltige Lösung fanden und sich dadurch wieder auf der persönlichen Ebene annähern konnten.