Bewertung einer Bewertung

Sachverhalt:

Eine Urlauberin (Konfliktpartnerin 1) hat über eine bekannte Vermittlungsplattform für Ferienwohnungen eine Wohnung bei einem Vermieter (Konfliktpartner 2) gebucht und darin auch ihren Urlaub verbracht. Wegen diverser Mängel an der gemieteten Wohnung war die Konfliktpartnerin 1 alles andere als zufrieden – die Wohnung war anders als auf der Plattform beschrieben, es gab weniger Schlafplätze und einige Gegenstände waren nicht nutzbar. Sie konnte den Urlaub daher nicht wie erwartet genießen.

Auf solchen Vermittlungsplattformen ist es üblich, dass Mieter*innen und Vermieter*innen sich gegenseitig nach dem Aufenthalt bewerten. Die Bewertungen werden erst dann sichtbar, wenn beide Parteien ihre Bewertungen abgegeben haben oder wenn zwei Wochen verstrichen sind. Die KP’in1 verfasste nach dem Urlaub also eine Bewertung. Auch der Vermieter (KP2) bewertete die Qualitäten der KP’in1 als Mieterin.

Als die KP’in1 schließlich die Bewertungen über sich las, war sie außer sich! Sie fand, dass der KP2 eine aus ihrer Sicht völlig falsche Darstellung der Tatsachen beschrieben hatte. Ihr Ärger steigerte sich, als sie herausfand, dass veröffentlichte Bewertungen grundsätzlich nicht mehr bearbeitet oder gelöscht werden können. Die KP’in1 machte sich Sorgen, dass sich diese schlechte Bewertung negativ auf zukünftige Buchungsanfragen auswirken könnte; denn Mieter*innen mit schlechten Bewertungen haben es schwer, von anderen Vermieter*innen angenommen zu werden. Die KP’in1 wendet sich an LIKOM, mit der Bitte, in ihrem Konflikt vermittelnd tätig zu sein.

KP’in1: Mieterin einer Ferienwohnung                KP2: Vermieter einer Ferienwohnung

Verlauf der Mediation:

Aufgebracht schildert die KP’in1 dem Mediator ihre missliche Lage am Telefon. Sie fühle sich machtlos, da ihre Bewertung nicht mehr geändert werden kann. Außerdem fühle sie sich vom KP2 sehr ungerecht behandelt. Der Mediator zeigt durch seine empathische Haltung viel Verständnis für den Ärger der KP’in1. Dadurch kann sie etwas von dem Dampf ablassen, der sich in ihr zusammengebraut hat. Dies führt dazu, dass die KP’in1 Stück für Stück wieder auf eine Ebene findet, die einen sachlichen Austausch über das Problem möglich macht.

Im Folgenden stellt sich dann die Frage, welcher nun der nächste Schritt ist. In diesem Fall gibt es zwei Ansprechpartner: der Vermieter der Ferienwohnung (KP2), der der Verfasser der schlechten Bewertung ist, und die Vermittlungsplattform, auf der die Bewertung zu lesen ist.

In Absprache mit der KP’in1, wendet sich der Mediator zunächst an die Vermittlungsplattform, da die Berwertung an sich erstmal nicht geändert werden kann. Die KP’in1 ist erleichtert, dass der Mediator dies für sie in die Hand nimmt. Im Gespräch mit einem Mitarbeiter der Plattform, erfährt der Mediator, dass die KP’in1 sich gerne selbst an diesen sehr freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeiter wenden kann, um mehr über das Bewertungssystem zu erfahren. Der Mediator bespricht dies in einem weiteren empathischen Gespräch mit der KP’in1, welche neuen Mut fasst und sich direkt mit dem Mitarbeiter in Verbindung setzt. Die Erkenntnis des Telefonats: Bewertungen können nur gelöscht werden, wenn sie den Richtlinien widersprechen und etwa Beleidigungen enthalten. Dies kommt in ihrem Fall nicht in Frage. Es gibt jedoch die Möglichkeit, auf eine Bewertung selbst zu kommentieren. Dies ist ein gängiger Weg, um schlechte Bewertungen abzumildern. Diese Information ist für die KP’in1 neu.

Ergebnis:

Die KP’in1 kommentiert ihre Bewertung umgehend mit einer Richtigstellung und ist damit umfänglich zufrieden.

Kommentar:

Im ersten Schritt mag man vermuten, dass die KP’in1 nur mit dem Entfernen der negativen Bewertung zufrieden gewesen wäre. Mediator*innen arbeiten jedoch lösungsabstinent. Das bedeutet, dass der Ausgang einer Mediation offen ist; auch wenn Konfliktpartner*innen zu Beginn der Mediation schon genau zu meinen wissen, was am Ende dabei herauskommen muss. Durch das empathische Arbeiten des Mediators, erweiterte sich die Bandbreite der Lösungsmöglichkeiten im Laufe der Mediation. Die KP’in1 veränderte ihre ursprüngliche Haltung zum Konflikt: Auch ein Kommentar ist nun für sie eine Lösung!