Rückerstattung mit Zeitverzögerung

Sachverhalt:

Die Konfliktpartnerein 1 (KP1) beauftragt einen Rechtsanwalt (Konfliktpartner 2). Der Fall landet schließlich vor Gericht, wo er in einem emotionalen Verfahren beendet wird. Das Urteil: Die KP1 erhält mehrere Tausend Euro Schadenersatz. Diese Zahlung läuft über ihren Anwalt (KP2) der seine eigene Vergütung gleich einbehält und nur den Rest des Betrags an die KP1 auszahlt. Letztlich übernimmt jedoch die Rechtsschutzversicherung die Vergütung des Anwalts. Daher hat die KP1 ein Guthaben bei ihrem Anwalt. Mehrmals bittet sie ihn schriftlich und telefonisch darum, das Guthaben an sie auszuzahlen. Immer wieder wird sie jedoch vom Sekretariat des Anwalts vertröstet und erhält einzig die Auskunft, dass ihre Akte noch nicht abgeschlossen sei, weshalb das Guthaben nicht ausgezahlt werden könne. Die KP1 wird über die Monate hinweg immer unsicherer. Sie versteht nicht, weshalb ihre Akte noch nicht abgeschlossen ist und sorgt sich vor weiteren emotionalen Auseinandersetzungen vor Gericht. Diese Angst verwandelt sich zunehmend in Panik. Schließlich beauftragt sie eine Mediatorin, in der Hoffnung, dass diese zwischen ihr und dem Anwalt vermitteln kann.

KP1: Privatperson                   KP2: Rechtsanwalt

Verlauf der Mediation:

Die Mediatorin bespricht mit der KP1 in aller Ruhe, was vorgefallen ist und wovor sie sich fürchtet. Die KP1 kann sich durch das empathische Zuhören der Mediatorin immer mehr beruhigen. Langsam findet sie aus dem Panikmodus heraus in den Denkmodus. In einer von der Mediatorin angeleiteten Konflikt-Perspektiv-Analyse® stellt die KP1 verschiedene Hypothesen auf, weshalb der Anwalt (KP2) so abweisend reagieren könnte. Die KP1 vermutet, dass der Anwalt sehr viele Akten auf dem Schreibtisch hat, die er aufgrund häufiger Gerichtstermine nur schleichend abarbeiten kann. Außerdem kann es sein, dass die Dokumente, die bezüglich ihres Falles beim Anwalt eingegangen sind, nicht alle am selben Platz liegen. Das Gerichtsurteil und die Mitteilung der Rechtsschutzversicherung über die Kostenübernahme könnten sicherlich noch nicht gemeinsam betrachtet worden sein.
Die KP1 beschließt daraufhin, eine Zusammenfassung der Kosten und der geleisteten Zahlungen aufzustellen. Am Ende dieser Rechnung steht ein großes Plus für sie. Diese Übersicht reicht sie umgehend bei ihrem Anwalt ein und gibt der Mediatorin Bescheid. Am darauffolgenden Tag beginnt die Mediatorin damit, den Anwalt zu kontaktieren. Auch sie wird vertröstet und darauf verwiesen, dass der Anwalt häufig bei Gericht sei. Dennoch probiert sie fortan täglich, den Anwalt zu erreichen.

Ergebnis/Lösung:

In einem unverhofften Moment erhält die Mediatorin einen Rückruf des Anwalts. Dieser sagt, dass die Kostenaufstellung der KP1 ihm sehr geholfen habe und das Guthaben noch heute an sie ausgezahlt werde. Am nächsten Tag dann ist das Geld auf dem Konto. Die KP1 jubelt! Sie ist erleichtert, dass dieses schwere Kapitel in ihrem Leben nun endgültig abgeschlossen ist.

Kommentar:

Eine Konflikt-Perspektiv-Analyse® ist eine hilfreiche Methode in der Mediation. Sie ermöglicht, Schritt für Schritt den Fokus vom eigenen Standpunkt hin auf den Standpunkt des Gegenübers zu verlagern. Angeleitet durch den/die Mediator*in, entwickelt eine Konfliktpartei dann Hypothesen zu den möglichen Motiven hinter dem Standpunkt der anderen Konfliktpartei. Dieses Vorgehen schafft Raum für einen Perspektivwechsel, obwohl die andere Konfliktpartei nicht anwesend ist und sich auch noch nicht geäußert hat. Sobald eine Konfliktpartei nachvollziehen kann, was hinter dem Verhalten der anderen Konfliktpartei stecken könnte, öffnet sich die Möglichkeit, neue Strategien zu entwickeln.
In diesem Fall hat es sich bewährt, zuerst die möglichen Motive des KP2 zu analysieren, um daraus die weitere Vorgehensweise zur konstruktiven Konfliktlösung abzuleiten. Die KP1 lag richtig: Eine einfache Kostenaufstellung war das wichtige Puzzleteil, das zum finalen Abschluss ihres Falles gefehlt hatte!