Der teuerste Umzug aller Zeiten!

Sachverhalt:

Der Konfliktpartner 1 (KP1) beauftragt ein Umzugsunternehmen (Konfliktpartner 2), da er in eine neue Wohnung zieht. Am Telefon lässt sich der KP2 den Umfang des Umzugs erläutern, um einen Festpreis mit dem KP1 zu vereinbaren. Es handelt sich um eine vollmöblierte Erdgeschoßwohnung mit drei Zimmern, deren kompletter Inhalt in die neue, ebenfalls drei Zimmer umfassende Wohnung im vierten Stock ohne Lift transportiert werden soll. Der KP1 zählt sämtliche Möbelstücke auf und nennt dem KP2 auch eine ungefähre Anzahl an Umzugskartons. Aufgrund dieser Angaben schlägt der KP2 dem KP1 einen Preis von 5.000 € als Festpreis vor. Dieses Angebot nimmt der KP1 an.

Am Umzugstag erscheint der KP2 mit nur einem Mitarbeiter und einem kleinen Transporter. Er ist über den Umfang der zu transportierenden Gegenstände erstaunt und teilt dem KP1 etwas entsetzt mit, dass er unter diesen Umständen nicht nur einmal, wie er zunächst angenommen hatte, sondern mehrmals zwischen der alten und der neuen Wohnung hin- und herfahren muss. Im Laufe des Umzugs informiert er den KP1 darüber, dass er für diese Mehrfahrten Zuschläge verrechnen werde. Außerdem wird er den Preis nochmals erhöhen, da sich die neue Wohnung im vierten Stock ohne Lift befindet, was den Transport um einiges erschwert. Der KP1 nimmt den KP2 zunächst nicht ernst und interpretiert dessen Aussagen als Scherz. Als er jedoch ein paar Tage nach dem Umzug die Rechnung erhält, wird ihm klar, dass es der KP2 ernst meint: Anstatt der vereinbarten 5.000 € beträgt die Rechnung nun knapp 10.000 €! Vergebens versucht der KP1, mit dem KP2 über diese hohe Rechnung zu sprechen. Schlussendlich wendet er sich an eine Mediatorin.

KP1: Privatperson                    KP2: Inhaber des Umzugsunternehmens

Verlauf der Mediation:

Im Erstgespräch erfährt die Mediatorin vom KP1, dass er bereits ein heftiges Streitgespräch mit dem KP2 hinter sich hat. Laut dem KP1 war der KP2 sehr unfreundlich und aggressiv, an einen sachlichen Austausch unter Hinweis auf den vereinbarten Festpreis war nicht zu denken.
Die Mediatorin kontaktiert den KP2 und lässt sich die Angelegenheit aus seiner Perspektive schildern. Zunächst reagiert der KP2 sehr aufbrausend und weist die Schuld immer wieder dem KP1 zu. Die Mediatorin fragt daraufhin nach der zunächst getroffenen Vereinbarung und auch nach dem konkreten Ablauf des Umzugs. Sie stellt fest, dass sich die Schilderungen des KP2 und des KP1 decken. Sodann bedient sie sich des mediativen Werkzeugs des Spiegelns. Das heißt, die Mediatorin gibt dem KP2 in ihren eigenen Worten wieder, was sie soeben von ihm gehört hat. Nach und nach durchläuft der KP2 dadurch einen Prozess der Selbstreflexion, die schließlich zu einer Erkenntnis führt: Er stellt fest, dass er als Spezialist für Umzüge frühzeitig hätte erkennen müssen, wie viel Kraft und welche Transportmittel den Schilderungen des KP1 nach für den Umzug nötig gewesen wären. Der KP2 erkennt dadurch, dass er von Anfang an einen höheren Preis hätte veranschlagen sollen.

Ergebnis/Lösung:

Der KP2 sichert der Mediatorin zu, sich mit einem neuen Preisvorschlag beim KP1 zu melden. Wenige Tage später berichtet der KP1 voller Freude, dass er mit dem KP2 in einem sehr sachlichen und angenehmen Telefonat einen neuen Preis in Höhe von 6.000 € vereinbart hat.

Kommentar:

Spiegeln ist eine Gesprächstechnik, bei der sowohl das Gesagte als auch die dabei auftretenden Gefühle und Bedürfnisse von der Mediatorin in eigenen Worten und ohne Wertung wiedergegeben werden. Dadurch hören die Konfliktparteien ihre Anliegen noch einmal aus einem anderen Mund. Dieser Widerhall führt dazu, dass Konfliktparteien sowohl merken, ob die Mediatorin Ihre Anliegen richtig verstanden hat, als auch zur Möglichkeit, ihr Anliegen von einer äußeren Perspektive aus zu betrachten. Im vorliegenden Fall hat das Spiegeln einen weitreichenden Erkenntnisprozess angestoßen: Der KP2 hat seinen Anteil am Konflikt selbst erkannt und ist mit einer neuen Haltung in das finale Klärungsgespräch mit dem KP1 gegangen.